Belle Saschara
Roman
von Michael Glaser
Details zum Buch:
Seitenanzahl: 196
Erscheinungsjahr: 2024
Format: 12,5 cm x 21,5 cm
Einband: Broschur
Gewicht | 0,250 kg |
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Belle Saschara, ein Engel in Frauengestalt als Gegenspieler Belsazars oder die Frage: „Wie hältst du es mit dem Heiligen?“ Vom Umgang mit sakraler Kunst.
Durch den gesamten Text zieht sich das wechselvolle Schicksal der vasa sacra, symbolisch der Messkelch für alle anderen heiligen Gerätschaften, der im Laufe seiner Geschichte bis heute vielerlei Zwecken diente, längst nicht immer seiner eigentlichen Bestimmung, das Blut Christi nach der Transsubstantiationslehre zu wandeln. Ganz besonders kunstvolle Exemplare unschätzbaren Wertes können in Domschatzkammern bewundert werden, ihre bescheidensten und ausgemusterten Brüder dagegen, inventarisiert, in Sakristeischränken verstaut, verstaubt und vergessen. Auch vor Krieg, Zerstörung, Plünderung, religiösem Fanatismus und Entweihung waren sie nicht sicher und sind unter Einsatz des Lebens mutiger Christen gerettet worden. Mitten hinein und noch recht unerfahren wird der Ich-Erzähler in das Gerangel um sakrale Kunst gestellt, der sich auf einer Dienstreise nach Dresden befindet, um in der Lukaskirche Lieder von Robert Schumann aufzunehmen, und das im ersten Frühjahr nach dem Mauerfall. Grund genug, alles Neue in sich aufzusaugen, wie auch das kürzlich eröffnete Antiquitätengeschäft in der Neustadt, das er mit Interesse betritt. Gerade in dem Moment, als er einen kupferfarbenen Kelch am Schaufenster ins Sonnenlicht hält, geht eine junge, schöne, selbstbewusste Frau vorüber, deren Haarpracht mit dem Kupferton des Kelches zu einem einzigartigen Farbton verschmilzt. Es war nur ein Augenblick, in dem beide Farben ineinander drangen. Dieser magische Moment wird nach einigem Zögern zum Entschluss, den Kelch zu erwerben.
Schon immer von einer breitgefächerten Liebe zu Antiquitäten angezogen, wird dieser Kauf in Dresden ganz allmählich zum zentralen Gegenstand seiner Sammelleidenschaft. Viele Geschichten um Heilige Kelche und Schalen beschäftigen den Ich-Erzähler bis tief hinein in die Zeiten, wo Realität und Legende nicht mehr zu trennen sind. Zweifelsohne ist das legendäre Festmahl des Belsazar der blasphemische Höhepunkt, indem der betrunkene Regent den geraubten Heiligen Tempelschatz aus Jerusalem auftragen lässt, den Gott der Juden aufs Grässlichste lästert und verhöhnt, um danach aus dem Heiligen Becher auf das Wohl seines regionalen, aus Eisen und Stein bestehenden Gottes Belus zu saufen.
Jahre später führt den Ich-Erzähler wieder eine Aufnahme nach Dresden, diesmal zu einer Orgelaufnahme in die Hofkirche. Da tagsüber wegen der Außengeräusche und des Straßenmusikantenlärms nicht aufgenommen werden kann, hat er genügend Zeit durch Dresden zu schlendern. Und weil es eine Orgelaufnahme ist, sitzt er versonnen auf der Brühlschen Terrasse und stellt Vergleiche zwischen den beiden Kirchen an, in denen Silbermannorgeln stehen, der Hofkirche und der Frauenkirche. Und er denkt an die Schicksale der beiden Gotteshäuser und ihrer Orgeln. Auch die düsteren Gedanken der Zerstörung wollen ihm nur schwer aus dem Kopf gehen.
Langsam wird es Zeit, zur Hofkirche hinüberzugehen. Heute steht die letzte Aufnahmenacht bevor und dem Ich-Erzähler wird wehmütig ums Herz. Wann wohl wieder und ob ihm überhaupt noch einmal solch erhabene Stunden geschenkt werden würden? Mitten in der Nacht, allein mit einem begnadeten Organisten, in einer so unglaublich traditionsreichen Kathedrale, wo jedes Detail Glauben atmet, mit der Musik von Bach an einem beinahe göttlichem Instrument? Und dann in die Morgendämmerung hinein das erleichterte: „Geschafft, Gratulation! Komm gut in die ferne Heimat, wir hören voneinander.“
Als schlösse sich ein magischer Kreis in Dresden, denn diesmal steht mittlerweile ein vierter Messkelch per Inserat zum Kauf. Und der wird im Gepäck verstaut.
Im Ich-Erzähler war über die Jahre die Idee gereift, als besonderes Ritual mit seinen drei besten Freunden aus diesen Kelchen auf das eigene Wohl anzustoßen.
Doch das verhindert im letzten Moment die Erinnerung an jenes magische Farbspiel von damals. Mehr noch, die Dame schien selbst gekommen zu sein. Der Besitzerstolz hatte sich schlagartig in grummelndes Unbehagen verwandelt. Schnell, im Handumdrehen alles noch einmal verändert, einfach so, wie man früher miteinander gefeiert hat. Viel gelacht, viel gelästert. Aus Bierflaschen wurde kräftig getrunken.
Der Ich-Erzähler, wieder allein, wird immer nachdenklicher, spürt deutlich, sich seiner Aufgabe stellen zu müssen. Nicht nur die äußere Schönheit der Kelche zu bewundern, sondern auch nach ihrem geheimnisvollen Inhalt zu fragen. Zögerlich begibt er sich auf den Weg.